Farben als torlose Schranken

Ich versuche, mit dem Rot und dem Grün die schreklichen Leidenschaften der Menschen auszudrücken. Es ist eine Farbe, nicht wörtlich wahr vom Standpunkt des Realismus, der Augentäuscher, aber eine suggestive Farbe, welche eine Bewegung des glühenden Gefühls ausdrückt ... Ich versuche auszudrücken, dass das Café ein Ort ist, wo man verrückt werden und Verbrechen begehen kann. Ich versuche es durch den Gegensatz von zartem Rosa, blutroter und dunkelroter Weinfarbe, durch ein süßes Grün und Veronesergrün, das mit Gelbgrün und hartem Blaugrün kontrastiert. Dies alles drückt eine Atmosphäre von glühender Unterwelt aus, ein bleiches Leiden, die Finsternis, die über den Schlafenden Gewalt hat ...
Vinzent van Gogh über das Bild „Nachtcafé“, 1914

Alles um uns herum ist farblos – farblose Materie und farblose Energie. Ein Kleeblatt ist nicht Grün. Es besitzt lediglich ein individuelles Absorbtionsvermögen. Es kann von der Allgemeinbeleuchtung bestimmte spektrale Teile auffangen und absorbieren. Der nicht absorbierte Teil wird als Restlicht reflektiert. Er dient als Informationsübermittler an unsere Sehorgane. Er benachrichtigt sie darüber, in welcher Weise er sich von der spektralen Zusammensetzung der Allgemeinheit unterscheidet. Erst unser Gehirn produziert das Farbempfinden Grün. Farbe ist somit ein Code, der uns ermöglicht, die Außenwelt zu interpretieren. Ein Zeichensystem als Grundlage für die Kommunikation zwischen uns und der Welt. Ob etwas nah ist oder fern, hell oder dunkel, zwei- oder dreidimensional, sich bewegt oder steht, erkennen wir durch Veränderung von Farben. Die Welt kommuniziert mit uns – wir sehen Farben. Verstehen wir Farben?

Ist Farbe eine universelle Sprache
Wir können uns der Wirkung von Farben nicht entziehen. Sie wirken nicht nur auf die Sehorgane und ermöglichen damit eine Interpretation der Umwelt, sondern beeinflussen über unser Assoziationsvermögen unmittelbar das eigene Handeln. Darüberhinaus können wir Farben als Temperatur fühlen und als Tonschwingungen hören.

Bestimmte Farbpaletten können Stimmungen wie Freude, Trauer, Friede, Ruhe oder Bedrohung bei uns auslösen. Wir fühlen uns in ihrer Umgebung wohl oder lehnen sie ab. Menschen werden nach Frühlings-, Sommer-, Herbst- und Wintertypen eingeteilt, farbentsprechend gekleidet und geschminkt. Es gibt Farben, die wir als aggressiv empfinden und in ihrer Signalwirkung einsetzten – rote Lippen, rote Straßenschilder, rote Ampeln. Die Farbe Dunkelblau empfinden wir in fast allen ihren Varianten als seriös, vornehm und distanziert. Viele Unternehmen sehen durch diese Farbe ihre Firmenphilosophie (CI) repräsentiert. Wir benutzen und empfinden also Farben als abstrakte Zeichen, als Statthalter für emotionale und soziale Werte.

Farben werden regional unterschiedlich interpretiert
Wie manche Begriffe in unserer Alltagssprache haben auch Farben eine eigene Interpretationsgeschichte. Ihre lokale Interpretation und Wertigkeit wird beeinflusst durch die jeweilig herrschende Philosophie und Religion, vor allem aber durch den notwendigen Aufwand zu ihrer Herstellung. Purpur wurde in Europa für den Königsmantel verwendet, weil es selten war und teuer importiert werden musste. Die Verwendung der Farbe Schwarz für feierliche Trachten, vor allem in der Türkei, oder in unserem Kulturkreis für das „kleine Schwarze“ (Ausgehkleid für Frauen), ist darauf zurückzuführen, dass es schwer und teuer war, schwarze Stoffe herzustellen. Die Einführung der Farbe Rosa als Liturgiefarbe hat ihre Ursache in einem Wertewandel. Rot, dementsprechend auch das kleine Rot (Rosa), galt im Mittelalter als männliche Farbe. Die männlichen Adeligen trugen zu festlichen Anlässen rosa Stoffe. In der Zeit des Wandels dieser Farbinterpretation wurden die jetzt nicht mehr tragbaren Stoffe der Kirche geschenkt. Heute werden Männer, die Rosa tragen, unter Umständen als homosexuell eingestuft. Wohl eine der interessantesten Werteänderungen machte die Farbe Blau durch. Die Kelten, aber auch Germanen und Ägypter usw., dachten, die Götter seien blau, denn nur so könnten sie unerkannt im Himmel fliegen. Im Mittelalter wurde Blau zur Farbe Mariens, es bekam eine weibliche Bedeutung. Bis ca. 1920 trugen weibliche Babies in Deutschland noch hellblaue Kleidung. Durch die Entdeckung des Pflanzenfarbstoffes Indigo und die Möglichkeit seiner massenhaften Importierung sank der Wert von Blau schnell. Blau wurde so billig, dass es zur Einfärbung von Arbeitskleidung verwendet wurde. Die Faschisten in Spanien erklärten die Farbe Blau zur Farbe der Arbeit. Ihre Uniformen und ihre Fahne wurde Blau. Dass Blau dennoch im allgemeinen Verständnis als Zeichen für vornehm, zurückhaltend, solide, seriös usw. gilt, zeigt, dass die Farbe eine Bedeutung über ihre lokale Interpretation hinaus entwickeln kann. Sie wirkt.

Wie jede Sprache haben Farben eine Grammatik
Die Wissenschaft spricht von Grundgesetzen der Farbenlehre. Wenn wir uns mit Farben auseinandersetzten, stoßen wir auf Gesetzmäßigkeiten des Sehens, auf Wirkungsketten zwischen Licht- und Farbempfindung und auf Farbmischgesetze. Der Farbtheoretiker und Maler Kandinsky entdeckte in den einzelnen Farben Bewegung – Bewegung von warm nach kalt (von Gelb nach Blau) und von hell nach dunkel (von Weiß nach Schwarz). Zusätzlich weist er den Bewegungen psychologische Wirkung zu. Er spricht von innerlichem Charakter als seelische Wirkung. Gelb bewegt sich für ihn in einer exzentrischen Bewegung zum Beschauer hin. Es beinhaltet eine körperliche Tendenz. Gelb wird als drängend, aggressiv, unverschämt, wahnsinnig aber auch als aktiv und positiv empfunden. Blau dagegen bewegt sich in konzentrischen Bewegungen vom Beschauer weg. Es beinhaltet eine geistige Tendenz. Blau wird als zurückgezogen, abgesondert, ausweichend und abstrakt empfunden, aber auch als Tiefe und Ruhe. Für den Farbtheoretiker und Schriftsteller Goethe wie für andere, die seinen Ideen folgten, gab es auch Verbindungen von Farbe und Musik. Farbe und Ton sind zwei Ströme, die zu verschiedenen Meeren fließen und doch eine Quelle haben. Wir haben drei Primär-Farben – Gelb, Rot, Blau. Sie finden ihre Entsprechung im Dur-Dreiklang. Die Mischfarben – Grün, Orange, Violett könnte man mit den weicheren Moll-Dreiklängen vergleichen. Man geht von 8 extremen Empfindungspositionen aus. Schwarz, Weiß, Gelb, Magenta, Cyan, Violettblau, Grün und Orangerot. 8 Noten hat eine Tonleiter. Das „Hören“ der Farben ist so präzise, dass man wahrscheinlich keinen Menschen finden wird, der einen tiefen Baß mit Grellgelb in Verbindung bringen würde. Es gibt Menschen, die beim Anhören von Musik sogar Farben sehen können.

F = rotviolett
GES, FIS = rot
G = rotorange
AS, GIS = orange
A = orangegelb
AIS, B = gelb
CES, H = gelbgrün
C = grün
DES, CIS = blaugrün
D = blau
ES, DIS = blauviolett
FES, E = violett